Es ist Donnerstag, Punkt 14 Uhr: Die erste von zwei aufeinanderfolgenden Verhandlungen am Amtsgericht in Donaueschingen startet. Der Grund ist in beiden Fällen ein Verstoß gegen die Corona-Verordnung.

Einige Minuten zuvor trifft der SÜDKURIER-Reporter bei der Ankunft auf mehrere Polizeibeamte, die im Eingangsbereich des Gerichtes Präsenz zeigen. Auf ein kurzes Vorzeigen des Presseausweises folgt der Gang durch die aufgestellte Scannerschleuse, wie man sie von Flughäfen kennt. Und danach geht es auch schon in den großen Saal acht, wo beide Verhandlungen stattfinden. Überall im Inneren gilt Maskenpflicht – für die Richter genauso wie für die Polizisten, die Besucher oder die Beschuldigten.

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Nun kommt es bei Gerichtsprozessen ja immer auf kleinste Details an, wenn es um das Jonglieren mit Paragrafen geht. Doch wie speziell diese Arbeit in Corona-Angelegenheiten ist, sollen gleich die beiden Termine zeigen – Stichwort Definition des Mindestabstandes von eineinhalb Metern.

Beschuldigte Nummer eins: die Tochter

Als erste auf dem Sünderstuhl sitzt eine 47-jährige Frau aus Bräunlingen. Ihr wird laut Anklageschrift, welche die Richterin laut verliest, vorgeworfen, Mitte November des vergangenen Jahres am frühen Abend eine Ordnungswidrigkeit auf dem Rathausplatz in Donaueschingen begangen zu haben. Und zwar soll die zweifache Mutter, die ohne Anwalt erschienen ist, im Anschluss an eine Versammlung gegen die zu diesem Zeitpunkt geltende Corona-Verordnung verstoßen haben. Dafür soll sie mit einem Bußgeld von 150 Euro bestraft werden.

Die Strafe möchte die Frau nicht hinnehmen, sie hat Einspruch gegen den Bescheid erhoben, weshalb nun der Gerichtstermin notwendig ist. Laut Anklage wird ihr angelastet, mit vier weiteren Personen aus mehreren Haushalten in einem Kreis zusammengestanden zu sein. Entscheidend ist dabei, dass das geschehen sein soll, nachdem die Kundgebung vom Versammlungsleiter offiziell beendet wurde. Denn ab diesem Zeitpunkt gelten dann wieder die verschärften Regeln, etwa die strikte Begrenzung auf zwei Haushalte.

„Ich stand dort mit drei weiteren Personen, unter anderem mit meiner Mutter, die an der gleichen Adresse gemeldet ist“, möchte die Betroffene klarstellen. Ihre Mutter wird später selbst noch auf dem Sünderstuhl sitzen. Doch ob nun drei oder vier Personen: das ändere am Vorwurf nichts, entgegnet ihr die Richterin: „Das sind mehr als zwei Haushalte.“

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Bleibt noch die Sache mit dem Mindestabstand. „Nach der Versammlung haben wir uns in der Gruppe unterhalten. Ich kann nicht genau sagen, wie groß der Abstand war. Zu meiner Mutter waren es sicher weniger als 1,5 Meter, aber zu den anderen mehr“, erklärt die 47-Jährige. „Masken haben wir keine getragen“, fügt sie an.

Einziger Zeuge: ein Polizist

Licht ins Dunkel soll jetzt der einzige Zeuge bringen – ein Polizeikommissar. Er berichtet im Gerichtssaal, dass am besagten Abend eine Corona-Versammlung stattgefunden hat. Schon im Vorfeld dieser Veranstaltung habe er mit einem Kollegen vor Ort festgestellt, „dass sich nicht so ganz an die Maßnahmen gehalten wurde“. Also habe man den Leiter darauf angesprochen, dass es so nicht ginge – mir Erfolg. „Während der Versammlung gab es keine Beanstandungen, alle haben sich daran gehalten“, erzählt der Polizist. Nach dem Ende der Kundgebung seien viele Personen recht zügig gegangen; eine Gruppe aus fünf Personen sei jedoch im Gesprächskreis zusammengestanden. „Mein Kollege und ich haben das mehrere Minuten lang beobachtet, bevor wir eingeschritten sind“, schildert der Kommissar. 1,5 Meter Abstand seien definitiv nicht eingehalten worden, es hätte keine weitere Person dazwischen gepasst.

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Die Richterin folgt den Aussagen des Polizisten aufmerksam. Sie tue sich mit der genauen Definition des Mindestabstands schwer, gibt sie ehrlich zu. Dennoch sei die rechtliche Auseinandersetzung damit mittlerweile Routine. Und der Polizeibeamte verdeutlicht als Faustregel: Zwei Armlängen seien auf jeden Fall mehr als 1,5 Meter Abstand. Beim Einschreiten habe niemand die Herausgabe der eigenen Personalien verweigert, dennoch seien die Polizeibeamten mit Protesten konfrontiert worden – aber nicht körperlich, stellt der Zeuge klar. „An den Ausweisen konnten wir feststellen, dass mehr als zwei Haushalte in dem Kreis zusammenstanden“, sagt er noch.

Jeder sollte anfangen, differenziert zu denken. Und nicht totalisiert die Gesundheit über alle anderen Rechte stellen.
Angeklagte, 47 Jahre

„Mir geht es nicht um die 150 Euro Bußgeld, sondern um die Anzahl der Personen“, sagt indes die Beschuldigte. Die Bräunlingerin hätte laut eigener Aussage gern einen Nachweis – zum Beispiel in Form eines Fotos – dafür, dass man über mehrere Minuten zu fünft beisammen gestanden sei. „Dann bin ich gern dazu bereit, zu akzeptieren, dass der Abstand nicht eingehalten wurde.“ Mit ihrer Aussage verbindet sie auch gleich noch einen generellen Appell: „Jeder sollte anfangen, differenziert zu denken. Und nicht totalisiert die Gesundheit über alle anderen Rechte stellen.“ Es gebe jede Woche Menschen in Altenheimen, die an Lebensqualität verloren hätten. Die 47-Jährige sei selbst kaum eingeschränkt durch die Corona-Maßnahmen, „aber durch meine Vergangenheit in der DDR bin ich etwas empfindlich bei diesen Sachen“.

Das Urteil: 150 Euro Bußgeld bleibt bestehen

Nun zieht sich die Richterin für die Urteilsfindung zurück – das dauert gleich mehrere Minuten. Die Entscheidung: 150 Euro Bußgeld plus das Tragen der Verfahrenskosten. Das Gericht hält ihr zufolge den Sachverhalt für erwiesen an. Die Betroffene habe eingeräumt, nach Ende der genehmigten Versammlung auf dem Rathausplatz mit weiteren Personen aus mehreren Haushalten zusammengestanden zu sein. Man sei davon überzeugt, dass es sich um fünf Personen aus vier Haushalten gehandelt habe, und somit der Zeugenaussage des Polizisten gefolgt. „Wie viele genau, spielt dann auch keine Rolle“, wiederholt die Richterin noch einmal. Denn die Beschuldigte habe selbst ausgesagt, dass es mehr Haushalte waren, als zu diesem Zeitpunkt erlaubt. „Das Gericht hat keinerlei Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Zeugen in seiner Funktion als Polizeibeamter. Abstand gibt es seit Beginn der Pandemie, und die Polizei ist geschult, das richtige Auge dafür zu haben“, erklärt die Richterin.

Ich kann den Unmut über einzelne Maßnahmen verstehen, aber Abstand und Maske haben sich bewährt.
Richterin

Abermals sehr ehrlich sagt die Richterin darüber hinaus: „Ich kann den Unmut über einzelne Maßnahmen verstehen, aber Abstand und Maske haben sich bewährt. Es braucht so wenige Kontakte wie möglich, um das Virus im Zaum zu halten.“ Dass die Einschränkungen jedem an die Substanz gehen, sei klar. Aber alle müssten sich eben an die Regeln halten. Gegen das Urteil kann die Betroffene innerhalb einer Woche Rechtsmittel einlegen.

Mit Ende der Verhandlung gibt es eine kurze Pause. Im Anschluss folgt der zweite Prozess – dieses Mal mit der Mutter der 47 Jahre alten Frau als Beschuldigte. Diesen lesen Sie hier in Teil zwei unserer Berichterstattung.