Robbie Williams schwört darauf, die Kardashians ebenso, und Kelly Osbourne hat sich mit ihrer Hilfe gewichtsmäßig nahezu halbiert: Die so genannten Abnehmspritzen – Ozempic und Victoza beispielsweise – haben einen regelrechten Hype ausgelöst. Vor allem, seitdem Prominente sehr offen darüber sprechen, sich einmal pro Woche die Nadel zu setzen.
Dabei sind die Spritzen, die allesamt den Wirkstoff Semaglutid enthalten, vor allem eines: hochwirksame Medikamente zur Behandlung von Diabetes mellitus, auch als Zuckerkrankheit bekannt. Genau dafür sind sie auch zugelassen.
Das sollten sie in erster Linie auch bleiben, sagt der Schwenninger Internist und Diabetologe Johannes Guhl. Schnell mal fünf, sechs, sieben Kilo abnehmen: Dafür sind die Medikamente nicht gedacht.
Etwa zehn Patienten, schätzt er, fragen pro Woche nach einem Rezept für Ozempic und Co. Oft sagt er nein. „Der letzte, dem ich es zum Abnehmen verschrieben habe, hatte einen Body Mass Index von 56“, sagt Johannes Guhl. Ab einem BMI von 30 gilt man als fettleibig.
Weniger Energie zuführen, mehr verbrauchen
Wer also leichtes Übergewicht abbauen will, muss den klassischen Weg gehen: Bewegung in den Alltag integrieren und sich gesund ernähren – und das dauerhaft. „Letztlich muss man dem Körper weniger Energie zuführen, als er verbraucht“, fasst Apotheker Thomas Karcher aus Villingen zusammen.
Und er ergänzt: „Das Problem bei jeder Diät ist, dass wir im Grunde Steinzeitmenschen sind. Der Körper passt sich der Diät an, und wenn diese endet, setzt er Fett an, um sich für vermeintlich schlechte Zeiten zu rüsten.“
Genau das passiere auch nach dem Absetzen von Ozempic: Wer die Spritze absetzt und in der Zeit der Gewichtsabnahme seinen Lebensstil nicht geändert hat, hat die verlorenen Kilos kurz darauf wieder zugelegt.

Karcher hat den Hype um Ozempic monatelang miterlebt. Vor etwa einem Jahr sei es deshalb auch zu Engpässen gekommen, weil Menschen mit – zum Teil auch gefälschten – Rezepten die Apotheken überrannten. „Damals wurden Ärzte auch von der Ärztekammer angehalten, Ozempic tatsächlich nur Diabetikern zu verschreiben“, sagt Thomas Karcher.
Mittlerweile hat der Ozempic-Hersteller Novo Nordisk das Präparat Wegovy auf den Markt gebracht. Auch hier ist der Wirkstoff Semaglutid enthalten. Allerdings ist Wegovy explizit als Mittel zur Gewichtsreduktion zugelassen. Verordnet wird es auf Privatrezept.
170 Euro Kosten – pro Monat
In der niedrigsten Dosierung kostet der Pen für einen Monat 170 Euro, sagt Thomas Karcher. Ein teures Helferlein, setzt doch der Effekt erst nach monatelanger Anwendung ein. Und: „Auch Wegovy ist als Ergänzung zur kalorienreduzierter Ernährung und körperlicher Aktivität bei erwachsenen Patienten mit einem BMI mehr als 30 ausgewiesen“, sagt Karcher. Nur spritzen und darauf warten, dass die Pfunde schmelzen – das sei nicht Sinn der Sache.
„Wir wissen schlichtweg nicht, was in 20 Jahren in einem Körper passiert, dem Ozempic zugeführt wurde.“Johannes Guhl, Internist und Diabetologe
Ein Diabetes-Medikament als Lifestyle-Produkt: Das sieht auch Diabetologe Johannes Guhl kritisch. „Aus medizinischer Sicht ist es zweifelsohne beeindruckend, wie gut es funktioniert“, sagt Guhl. Das ist die eine Seite. Die andere ist das, was auch Thomas Karcher beschrieben hat: Sobald das Medikament abgesetzt wird und der Patient keinen gesunden Lebensstil als Routine etabliert hat, ist das Ausgangsgewicht in wenigen Monaten zurück.
Die Langzeiterkenntnisse fehlen
Nicht zuletzt würden bei Ozempic und Co. die Langzeiterkenntnisse fehlen – einfach, weil die erste Generation dieser Medikamente erst vor zehn Jahren auf den Markt kamen. „Wir wissen schlichtweg nicht, was in 20 Jahren in einem Körper passiert, dem Ozempic zugeführt wurde“, sagt Johannes Guhl. Anders sei das bei lang erprobten Medikamenten wie Aspirin, das vor über hundert Jahren auf den Markt kam und dessen Nebenwirkungen hinlänglich bekannt sind.

Und Nebenwirkungen hat auch Ozempic genügend zu bieten. Die häufigsten seien Magen-Darm-Beschwerden, Sodbrennen, dauerhafte Übelkeit und Erbrechen: „Ich hatte auch schon Patienten, die es aufgrund der Nebenwirkungen wieder abgesetzt haben.“
Unterm Strich sei Ozempic Fluch und Segen zugleich, sagt Johannes Guhl. Segen zum einen, weil die für Diabetiker so wichtige Gewichtsreduktion tatsächlich schnell vonstatten gehe. Fluch, weil viele Patienten der Meinung seien, dass sie mit dem wöchentlichen Setzen der Spritze ihren Beitrag geleistet hätten, um die Erkrankung in Schach zu halten.
Deshalb bieten viele Mediziner, auch Johannes Guhl, Schulungen für Diabetiker an, deren Schwerpunkt auf den Einfluss von Bewegung und gesunder Ernährung auf die Erkrankung liegt. Das funktioniert mal mehr, mal weniger gut.
Letztlich könne man nur immer wieder darauf hinweisen, beraten und hoffen, dass die Patienten die Angebote annehmen, sagt Guhl. „Ich sitze ja nicht zu Hause mit im Wohnzimmer und kontrolliere, was sie essen.“ Schätzungen zufolge hätten nur 20 Prozent der Diabetiker schon einmal an einer Schulung teilgenommen. Dabei sei Wissen unerlässlich.
Wie Fertiggerichte und Tütensuppen schaden
Ein gesunder Lebensstil sei auch als Prävention nicht zu unterschätzen, betont der Mediziner. Dazu hat er auch eine aktuelle Studie der australischen Diabetes-Gesellschaft parat: Demnach ist das Risiko, an Typ 2-Diabetes zu erkranken, um 15 Prozent erhöht, wenn die täglichen Mahlzeiten zu zehn Prozent aus hochverarbeiteten Lebensmitteln bestehen, also beispielsweise Fertiggerichte, Tütensuppen, Süßigkeiten oder Wurstwaren. Warum das so ist? Der Arzt liefert die Erklärung direkt dazu: „Die billigen Füllstoffe, die von der Industrie den hoch verarbeiteten Lebensmitteln beigemischt werden, beeinflussen den Kohlehydratstoffwechsel massiv und der Körper setzt Fett an.“