Spannung durchfährt ihren Körper. Langsam dreht sich Ines Schneider zur Seite und zeigt in einer tänzerischen Geste, wie es ihr, der Inhaberin der Tanz-und Ballettschule Isgard Mader, seit Corona geht. Sie breitet die Arme aus, lässt sie nach unten fallen und ballt sie zu Fäusten. Als sei sie niedergeschlagen, doch des Kämpfens noch lange nicht müde.
„Es ist so deprimierend“, sagt Schneider. „Ich habe mich an die Verordnungen gehalten, hatte ein gutes Hygienekonzept, keinen einzigen Infektionsfall und trotzdem sind wir seit sieben, bald acht Monaten im Lockdown.“
Doch weil sie eine Kämpferin ist, hat Schneider schon im März, zusammen mit vielen ihrer Kollegen, Ballettlehrern aus ganz Baden-Württemberg, einen Brandbrief an die Landes- und Bundesregierung geschrieben. Aber: „Gebracht hat das nichts. Wir haben nur ein Standart-Anschreiben zurückbekommen.“
In der Gesellschaft kaum wahrgenommen
Von der Politik, wie der Bevölkerung fühlt sich die 26-Jährige kaum wahrgenommen. „Wenn ich anderen von meinem Alltag erzähle, sind viele überrascht: ‚Ach, du bist noch im Lockdown? Seit sieben Monaten?‘. Ein Großteil der Bevölkerung arbeitet ja weiter.“
Und weil das Gesagte nachklingen soll, ist Schneider erst einmal still.
Sie steht in ihrem Ballett- und Tanzstudio in der Villinger Innenstadt, hat die Fenster und Türen weit geöffnet, den Abstand mit Klebestreifen markiert. Dreht sich noch einmal vor der Spiegelwand und zeigt auf die Umkleide, die sie während des ersten Lockdowns, vor einem Jahr, zusammen mit dem Tanzsaal komplett renoviert hat. Ihre Schüler hat sie seit Oktober nicht mehr persönlich, manche nicht einmal mehr online gesehen.
Von 30 Ballettkursen zu sieben
Um niederschwellig noch präsent zu sein, hat Schneider auf Online-Unterricht umgestellt. Doch das Angebot werde kaum angenommen. Von ihren 30 Ballett- und Tanzkursen mit rund 18 Schülern, unterrichtet sie online nur sieben mit fünf bis sechs Schülern. „Weil nur wenige mitmachen.“
Auch für Schneider ist der Unterricht schwierig. „Da schleichen sich manchmal Fehler ein und ich kann meine Schüler nicht korrigieren, weil ich sie im Video nicht sehe.“
Denn: Oft hätten sie die Kameras aus oder einen ungünstigen Bildausschnitt gewählt. Wie eine Ballettlehrerin fühle sich die 26-Jährige momentan gar nicht, eher wie eine, die leise vor sich hin tanze, sagt sie.
„Ich habe zwischenzeitlich gedacht, ich höre wieder auf“
Das sei die emotionale Seite. Aber auch die wirtschaftliche wiege schwer. „Seit Januar verlange ich keine Beiträge mehr, das wäre den Kunden gegenüber nicht fair.“ Die einzelnen Online-Stunden würden zwar noch abgerechnet, staatliche Hilfen – wie die Überbrückungshilfe III – erhält Schneider auch: „Aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“
Besonders hart: „Die Kündigungen, die ich bekomme.“ Und: Die Schulden, die Schneider habe, weil sie die Ballettschule erst kurz vor dem ersten Lockdown übernommen, die Räume gekauft und einen Kredit aufgenommen habe. Das mache das Haushalten schwer.
Das belaste die Seele und raube den Schlaf. „Ich habe zwischenzeitlich gedacht, ich höre wieder auf, ich verkaufe alles. Weil die Angst, der wirtschaftliche Druck so groß war“, sagt Schneider.
Die Räume ihrer Kindheit
Aber aufgebend wäre sie nicht sie selbst. „Zumal die Räume hier ein Ort meiner Kindheit sind.“ Schon als Jugendliche trainierte sie in der Ballettschule, damals noch unter ihrer Vorgängerin Isgard Mader, hatte ein Schlüssel für das Studio, um auch außerhalb des regulären Betriebs zu tanzen. Zu üben.
Mit 14 wusste sie: „Ich will das beruflich machen: Meine Leidenschaft mit meinen Schülern teilen und ein Feuer in ihnen entfachen.“

Auch die Zwillingsschwestern Nina und Cynthia Bull (36), die das Tanzstudio Gymdance in der Vockenhauser Straße betreiben, sprechen von einem Tanz-Fieber, das sie in ihrer Jugend infizierte, von ihrem Studio als ihrem „Baby“, von einem Umzug in neue Räume kurz vor dem ersten Lockdown im letzten Jahr – „wir haben hier eigentlich noch nie trainiert“ – und von einem Umsatzrückgang von über 70 Prozent. „Das ist ein erheblicher Schaden.“
„Undurchsichtig“ und „im Stich gelassen“
Die Überbrückungshilfe III decke dabei nur die Fixkosten wie Miete, Strom, Versicherungen. Hätten die Männer, die Partner, der Schwestern sie nicht finanziell unterstützt, hätten sie die Zeit nicht überstanden – und längst schließen müssen, sagen beide.
Vier Worte fallen während des Gesprächs immer wieder „undurchsichtig“ und „im Stich gelassen.“ Undurchsichtig seien die vielen sich stetig ändernden Verordnungen. Letztes Jahr, während der Öffnungsphase, sei etwa lange nicht klar gewesen, zu welcher Kategorie Tanzschulen gehörten. „Ob wir zu den Fitnessstudios oder Veranstaltungsorten zählen.“
Inzwischen würden sie in der Corona-Verordnung zwar explizit erwähnt. Und doch bleibe das Gefühl, mit allem alleine, ja im Stich gelassen zu sein. Denn: „Was für uns gilt, ist oft nicht leicht zu finden. Da hat man natürlich Angst, etwas falsch zu machen.“
Die Öffnungsperspektive
Ihre Online-Kurse liefen zwar gut, sagen die Schwestern, seien aber kostenlos – „damit genug Tänzer zusammenkommen.“ Und manches könne man gar nicht abbilden – Aerial Yoga und Pole Dance zum Beispiel. „Es hat ja nicht jeder eine Stange zuhause.“

Was sie als erstes tun wollen, wenn sie wieder öffnen dürfen? „Ganz klar: tanzen“, sagt Cynthia Bull. „Tanzen ist wie Träumen mit Füßen. In Gemeinschaft ist das noch viel schöner.“ Und: Die Öffnung ist greifbar nahe. Wahrscheinlich ab Freitag gelten weitreichende Öffnungen, wenn der Landkreis am Donnerstag fünf Tage eine Inzidenz von unter 50 hat. Dann ist Unterricht in Ballettschulen mit 20 Schülern innen und außen erlaubt.