In der Mitte des Lebens zieht der Mensch gern eine Zwischenbilanz. Wichtige Etappen sind geschafft, viele berufliche und private Ziele sind erreicht. Die Kinder sind herangewachsen und vielleicht sogar schon aus dem Haus. Für viele Frauen stellt sich nun die Sinnfrage, erst recht, wenn sie ihr bisheriges Dasein der Familie gewidmet haben. Mitunter kommt es dabei zu einer typischen Filmszene, in der sie sich vor dem Spiegel prüfend in die Augen schauen: Bin ich noch die, die ich immer sein wollte?

Antworten liefern unzählige Ratgeberbücher mit Glückskeksbotschaften wie „Werde, der du bist“. Auf diese Quintessenz ließe sich auch das neue Buch von Gaby Hauptmann reduzieren; aber das würde weder der Geschichte noch den Figuren gerecht.

„Unser ganz besonderer Moment“ ist die Fortsetzung des vor einem Jahr erschienenen Romans „Unsere allerbeste Zeit“. Beiläufig lässt die Allensbacher Autorin einfließen, was bisher geschah: Erzählerin Katja, Mitte vierzig, erfolgreiche Marketing-Frau und Single aus Überzeugung, hat ihre Zelte in Hamburg abgebrochen und ist in die alte Heimat nach Stuttgart zurückgekehrt, um sich um ihre zunehmend demente Mutter zu kümmern.

Ihre beste Freundin Doris hat ein Café eröffnet, das jedoch mehr Liebhaberei als Goldgrube ist. Da Doris für die kaufmännische Seite weder Lust noch Zeit hatte, haben sich erhebliche Steuerschulden angesammelt.

Gaby Hauptmann: „Unser ganz besonderer Moment“, Roman, Piper Verlag 2022; 384 Seiten, 15 Euro.
Gaby Hauptmann: „Unser ganz besonderer Moment“, Roman, Piper Verlag 2022; 384 Seiten, 15 Euro. | Bild: PIPER

Weil Hauptmann-Romane das Leben nicht nur in emotionaler Hinsicht gern als Achterbahnfahrt schildern, bei der es mal gemächlich, mal rasant, aber immer bergauf und bergab zugeht, folgen auf schlechte stets auch wieder gute Nachrichten; und umgekehrt. Wie aus dem Nichts taucht Niki auf, eine junge Frau, die enormen Schwung in das etwas verschlafene Lokal bringt. Aber dann lässt sie eine Bombe platzen, die Doris‘ Dasein in den Grundfesten erschüttern und die Fassade ihrer Vorzeigefamilie mit erfolgreichem Gatten und zwei wohlgeratenen erwachsenen Kindern wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen lässt: Niki entpuppt sich als 18 Jahre lang sorgsam verschwiegenes Seitensprungergebnis ihres Ehemanns Jörg.

Wer positiv durchs Leben geht, reagiert auf negative Ereignisse gern mit dem Satz „Wer weiß, wofür‘s gut ist“, und dieses Motto zieht sich ebenfalls durch viele Bücher Gaby Hauptmanns: Manchmal ist ein Schuss vor den Bug nötig, um den Mut oder die Kühnheit aufzubringen, völlig neue Wege zu gehen.

Das gilt auch für Doris, die sich fast schon Hals über Kopf gemeinsam mit Katja in ein weiteres gastronomisches Abenteuer stürzt, und nun kommt wieder das junge Weinbautrio aus dem letzten Romans ins Spiel. Wie sich die Dinge schließlich zum Guten wenden, ist ebenso geschickt eingefädelt wie mitreißend erzählt.

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Natürlich ist die erneut in Spätsommer und Frühherbst angesiedelte Handlung längst nicht so spektakulär wie die Geschichten, mit denen die Autorin einst bekannt geworden ist. Niemand kommt zu Tode, der kleine erotische Hunger zwischendurch wird eher beiläufig befriedigt, und auch die früher gern integrierten Krimi-Elemente fehlen, selbst wenn sich rausstellt, dass Jörg gemeinsam mit ähnlich unsympathischen Geschlechtsgenossen ein perfides Komplott ersonnen hat, um Doris wieder auf ihre Rolle als Heimchen am Herd zurechtzustutzen. Wie sich dann ihrerseits einige Frauen unterschiedlichsten Alters zusammentun, um dem finsteren maskulinen Netzwerk zu trotzen, ist ein großartiges Beispiel für weibliche Solidarität.

Immerhin lässt Hauptmann, womöglich dank beginnender Altersmilde (im Mai wird sie 65), Gnade walten: Es gibt auch ein paar gute Männer, und die sind zum Glück weder tot noch impotent.

Der Verzicht auf Extremsituationen hat zudem zur Folge, dass „Unser ganz besonderer Moment“ näher am Dasein vielen Leserinnen ist; und durchaus auch vieler Leser. Tatsächlich sind die kleinen Beobachtungen am Rande weit mehr als bloß Lückenfüller; das alltägliche Leben kann durchaus spannend sein. Dafür stehen nicht zuletzt die Figuren: Nicht nur Niki ist mehr, als sie scheint.

Gerade Katjas auf den ersten Blick etwas wunderlich wirkender Vermieter, schon im letzten Buch einer der überraschendsten Charaktere, offenbart weitere unerwartete Seiten. Selbst Katjas Bruder, Musterexemplar eines Taugenichts, bekommt eine zweite Chance.

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Außerdem lässt Hauptmann einige Themen einfließen, die der mutmaßlich gleichfalls nicht mehr ganz jungen Leserschaft durchaus vertraut sind, etwa die Einsamkeit am Lebensabend oder das „Empty Nest“-Phänomen, wenn ein großes Haus nach dem Auszug der Kinder plötzlich ganz leer wirkt und ein Elternpaar feststellt, dass es kaum noch Gemeinsamkeiten gibt; ganz zu schweigen vom Schicksal vieler Frauen, die auf Gedeih und Verderb auf das Einkommen ihres Mannes angewiesen sind.

Mag sein, dass die Weisheiten, die Katja und ihre Freundinnen von sich geben, für sich genommen banal klingen, aber unterm Strich vermittelt das Buch nicht bloß als Hommage an die Freundschaft ein enorm positives Lebensgefühl: Man lebt nur einmal, aber das jeden Tag; und es ist nie zu spät für einen Neubeginn.