Es gibt kaum noch Corona-Beschränkungen und fast könnte man meinen, der Spuk, der auch die Region im März 2020 überfallen hat, ist vorbei. Doch die Justiz beschäftigt sich weiterhin mit den langen Nachwehen der Pandemie. Denn Rechtsstreitigkeiten dauern mitunter lang und manch eine Verhandlung, deren Ursache in der Corona-Pandemie liegt, findet auch noch in diesen Tagen statt.
Besonders prominent sind die Fälle von gefälschten Impfausweisen oder Genesenen-Bescheinigungen. Sie fallen unter den Tatbestand der Urkundenfälschung, die während der Corona-Pandemie massenhaft aufgetreten seien. Und diese Fälle machen Amtsgerichtsdirektor Johannes Daun auch nachdenklich. Denn in vielen Fällen seien plötzlich Menschen mit dem Gesetz in Konflikt geraten, die sich bis dahin noch nie etwas haben zuschulden kommen lassen: „Es ist krass, dass das Unrechtsbewusstsein dafür fehlte“, sagt er.
Hinter der Nutzung von falschen Impfausweisen oder Genesenen-Bescheinigungen stehe das Bestreben, die Freiheiten der Geimpften zu haben, ohne sich selbst impfen zu lassen. Da seien Menschen plötzlich kriminell geworden – und das, obwohl der Gesetzgeber empfindliche Strafen für Urkundenfälschung vorsehe, nämlich Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis fünf Jahre. Mit solchen Fällen sei die Strafabteilung des Amtsgerichts auch weiterhin beschäftigt.
Viele neue Tatbestände für Ordnungswidrigkeiten
Eine Herausforderung für die Justiz seien auch die vielen neuen Tatbestände bei Ordnungswidrigkeiten gewesen, sagt Daun. Durch die Corona-Verordnungen, welche die Menschen vor einer Infektion schützen sollten, sei ein Verhalten, das bis dahin völlig in Ordnung war, plötzlich mit einem Bußgeld hinterlegt worden, erklärt Daun. Er erinnert an Kontaktbeschränkungen, die vor allem anfangs die Pandemie eindämmen sollten.
Dazu habe es Bußgeldkataloge gegeben, die von den Ordnungsämtern der Gemeinden auch genutzt worden seien. Das ist aus seiner Sicht auch völlig korrekt, denn: „Der Staat muss Verbote auch sanktionieren.“ Doch der Rattenschwanz dieser Regelungen, wie Daun es ausdrückt, beschäftige die Justiz noch heute.
Vor Gericht landete nur ein kleiner Teil der Fälle, in denen aufgrund der Corona-Verordnungen Bußgelder verhängt wurden – nämlich dann, wenn sich Betroffene juristisch gewehrt haben. 40 bis 50 solcher Fälle habe er entschieden, sagt Daun. Die Gesamtzahl an Bußgeldern wegen der Corona-Verordnungen dürfte sich aber nach seiner Schätzung im Amtsgerichtsbezirk eher in den Tausenden bewegen. Noch am Nachmittag nach dem Pressegespräch habe er Anhörungstermine mit Menschen, die verhängte Bußgelder nicht bezahlt haben, sagt Daun. Die Gründe für die Bußen: Zusammenstehen auf der Straße in zu großen Gruppen, Verstoß gegen die Maskenpflicht oder Aufenthalt außerhalb der Wohnung ohne triftigen Grund.
Allesamt geht es um Menschen, die zum Zeitpunkt der Ordnungswidrigkeit noch Jugendliche oder junge Erwachsene zwischen 18 und 21 Jahren – im juristischen Sprachgebrauch Heranwachsende – waren. Wie kann man so etwas ahnden? „Es gehört dazu, dass man Dreistigkeit nicht belohnt. Aber man muss auch mit Augenmaß rangehen“, sagt Daun. Bei jungen Erwachsenen werde ein nicht gezahltes Bußgeld häufig in eine Arbeitsauflage umgewandelt.
Eine Schwierigkeit sei, überhaupt die jeweils geltende Fassung der Corona-Verordnung zu finden, die sich zeitweise häufig und rasch geändert habe. Denn auch die Politik habe unter Handlungsdruck gestanden, ohne die sonst üblichen ausführlichen Diskussionen eine Regelung für den Schutz vor der gefährlichen Infektion zu finden. Und zu der Einschätzung als Gefahr steht Daun: „Es sind viele Menschen vor der Zeit gestorben, vor allem Alte und Kranke.“
Fitnessstudios dürfen nicht einfach verlängern
Im Zivilrecht, Dauns eigenem Spezialgebiet, gebe es vor allem Streitigkeiten um Fitnessstudio- und Reiseverträge. Manche Fitnessstudios hätten die Zeit, in der sie wegen Corona schließen mussten, einfach an die Laufzeit des Vertrags drangehängt. In einer Entscheidung vom 6. August 2021 habe er geurteilt, dass man solche Verträge nicht einseitig verlängern dürfe.
Die „per Corona-Verordnung der baden-württembergischen Landesregierung wiederholt angeordnete Schließung des Fitnessstudios gibt dem Kläger (dem Betreiber des Studios, Anm. d. Red.) keinen Anspruch darauf, den Vertrag dahin anzupassen, dass sich die Vertragslaufzeit über den 31. März 2021 hinaus (also über das vereinbarte Endes der Laufzeit hinaus, Anm. d. Red.) verlängert hätte“, heißt es in der Urteilsbegründung.
Bei Reisen fehlt noch die letzte Instanz
Bei Streit um Reisepreise sehe es anders aus, sagt Daun. Wenn Reisen vor Beginn der Pandemie gebucht wurden und dann wegen der Pandemie nicht angetreten werden konnten, habe er zugunsten der Kunden entschieden. Doch wer erst in der Corona-Zeit gebucht habe, der könne nach seiner Entscheidung vom 17. Juni 2022 nicht entschädigungslos aus dem Vertrag aussteigen. Das Landgericht Konstanz, die Berufungsinstanz, habe in diesem Fall allerdings den Reisenden Recht gegeben. Höchstrichterliche Rechtsprechung gebe es dazu noch nicht, sagt Daun, doch er stehe hinter seiner Entscheidung. Die Corona-Pandemie, sie beschäftigt die Justiz noch immer.